Bewegung in der Natur
Gern schreibe ich über gesunderhaltende oder gesundheitsfördernde Maßnahmen für unsere Pferde. Insbesondere dann, wenn wir sie selbst (gut informiert!) einleiten und steuern können, wenn die Kosten-Nutzen-Analyse so positiv ausfällt wie bei ihr und wenn wir uns selbst gleich involvieren können: Die Bewegung - und zwar draußen, in der Natur, möglichst ab von Straßen, Häusern, Landwirtschaft und Alltags-Lärm. Hat sie eigentlich auch Nachteile?
Wie immer, weil sie so aufschluss- und lehrreich ist: Die evolutionäre Faktenlage
Sowohl das Pferd als auch der Mensch sind von Natur aus für Bewegung geschaffen. Die hohe Beweglichkeit durch viele Gelenke, Sehnen und Bänder, eine große Muskelmasse und z.B. einschlägige Form von Füßen (Mensch) oder der ganzen Gliedmaßen (Pferd) sind evolutionär so entwickelt, dass das Überleben draußen in der Wildnis gut funktionieren konnte. Beide Spezies mussten sich bewegen, um Nahrung aufzunehmen, sprich: Um zu überleben.Der Mensch als Sammler und Jäger, der auch mal hinter seinen Beutetieren hinterherlaufen musste, das Pferd als Sucher und Fresser von rohfaserreichen Pflanzen - und eben als genau das Beutetier, das in Gefahrensituationen sofort reagieren und vor dem (tierischen oder menschlichen) Jäger flüchten musste.
Durch diese Notwendigkeit des Überlebens ist der Bewegungswille tief in unseren Genen verankert und es ist uns ein ursprüngliches Bedürfnis, in der Natur umherzustreifen, sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit (auf) dem Pferd. Unterbewusst werden dabei sehr viele unterschiedliche Körperregionen und -Systeme beeinflusst, die unsere Gesundung oder unsere Gesunderhaltung und die unserer Pferde im hohen Maße beeinflussen.
Auswirkungen von Bewegung — in der Natur
Sie fördert die Gesundheit des Pferdes und des sich mitbewegenden Menschen auf vielen unterschiedlichen Ebenen:
Unsere Lebensqualität steigt, wenn wir uns unser tägliches Bewegungspensum abholen. Spaziergänge in der Natur bringen den Pferden und uns eine willkommene Abwechslung im Alltag und können den Lichtblick eines jeden Tages darstellen. Dies gilt insbesondere für Pferde, die weniger naturnah gehalten werden (da sie z.B. viel Tageszeit in Stallungen oder Boxen verbringen oder auf Sand- oder versiegelten Flächen oder auf (abgegrasten) Monokultur-Weiden stehen) - und natürlich für das Pendant Mensch dazu, der bedingt durch seine Arbeit viel Zeit im Büro oder im Auto sitzt oder einem mental oder körperlich anstrengenden Job nachgeht.
Mittlerweile ist der Aufenthalt in der freien Natur für viele Menschen (und ihre Pferde) nicht alltäglich - leider. Durch diese Abstinenz können wir aber sehr viel Gutes aus dem neu entstehenden Naturkontakt ziehen, wenn wir uns erstmal dazu aufraffen. Unsere Stimmung steigt, psychischer Dauerstress wird reduziert - ganz sicher nicht von heute auf Morgen, aber stetig und kontinuierlich. Ohne die Einnahme von Medikamenten. Auch im Hinblick auf Winterdepression: Bewegung im Freien hilft extrem gut gegen depressive Verstimmungen!
Die Bewegung stellt sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin insbesondere bei den sogenannten Zivilisationskrankheiten einen elementar wichtigen Therapiebaustein dar, was jedoch nach meinen Erfahrungen nie ausreichend betont wird.
Wie oben bereits erwähnt, reguliert sich durch regelmäßige Bewegung (vor allem im Grünen) der Hormonhaushalt nachhaltig. Dies betrifft z.B. die Hormone Insulin, Leptin und Cortisol, welche bei Erkrankungen wie EMS und Cushing eine zentrale Rolle spielen und auf die der erkrankte Körper nicht mehr ausreichend reagieren kann (er ist insulin- und/oder leptinresistent); oder auch Dopamin, Serotonin und Endorphine, die bei Bewegung wiederum vermehrt ausgeschüttet werden und die als die sogenannten Glückshormone ganz viele positive Eskaden in unserem Organismus in Gang setzen können. Diese Regulierung bzw. dieses Einpendeln ist nicht durch die Einnahme von Medikamenten zu erreichen, ich wiederhole es noch einmal. Und die “Nebenwirkungen” von Bewegung (u.a. Gewichtsabnahme, Muskelauf- und Fettabbau, Optimierung von Stoffwechselvorgängen, verbesserter Schlaf und seelisches Gleichgewicht) schafft ebenfalls kein Medikament. Vielen Menschen ist nicht ausreichend klar, wie hoch der Einfluss der Hormone auf unsere psychische Gesundheit, auf unser tägliches Handeln und Denken ist. Das Wiederherstellen eines hormonellen Gleichgewichts kann die Pferde und uns unterstützen, physischen und psychischen Stress besser zu bewältigen. Man wird ausgeglichener, ruhiger, positiver, entspannter, resilienter. Trainierter. Allein durch Bewegung.
Gerade im Bereich der Pferdehaltung ist man schnell gewillt (ich schließe mich da mit ein), viele Probleme durch das Füttern bestimmter bzw. vermeintlich geeigneter Lebensmittel, Kräuter, Pflanzen, Mineralien … zu managen. Dieses Vorgehen macht auch durchaus Sinn und hat definitiv seine Berechtigung, aber: In diesem Zusammenhang spielt auch immer wieder der Prozess des “Entgiftens” eine Rolle. Beim Entgiften möchte man den Organismus seines Vierbeiners dabei unterstützen, im Körper angesammelte Abfallstoffe oder im Verdauungstrakt zirkulierende Umweltgifte entsprechend umzuwandeln und auszuscheiden. Hier spielen die Leber und die Nieren immens wichtige Rollen. Bewege ich das Pferd (und mich) oft und ausreichend, verbessere ich automatisch die Durchblutung bzw. Versorgung vieler unterschiedlicher Körpergewebe, wie Muskeln, Bänder, Sehnen, Gelenke - aber eben halt auch die Durchblutung lebenswichtiger Organe wie Leber und Nieren, die durch die optimale Versorgung z.B. mit Sauerstoff einen viel effektiveren Job machen können!
Allgemein funktionieren Körpersysteme einfach besser, wenn sie regelmäßig beansprucht, trainiert und gut versorgt werden.
Und im Gegensatz zu den Futterzusätzen kostet uns Bewegung keinen Cent.
Heilende Natur: Der Wald und das Meer
Die verbesserte Durchblutung aller Körperregionen wird durch die optimierte Leistung des Herz-Kreislauf-Systems herbeigeführt, welches durch die sehr sauerstoff- oder nährstoffreiche Luft beispielsweise im Wald oder an der See gefördert wird. Der Blutdruck (der in Deutschland bei jedem zweiten Menschen über 50 Jahre erhöht ist!) sinkt. Die Feinstaubbelastung im Wald, am Meer oder natürlich auch in den Bergen ist viel geringer und lässt unsere Lungen tief und frei durchatmen. Vor allem für viele Pferde bedeutet die Bewegung in der Natur neben der psychischen Entspannung ein regelrechtes Freipusten der haltungsbedingt doch stark beanspruchten Lungen (viel Staub im Stall, im Heu, auf dem Reitplatz oder in der Reithalle). Und auch insbesondere bei den bereits “angeschlagenen” Pferden, die schon mit chronischen Atemwegsproblemen zu kämpfen haben, können die Terpene (ätherische Öle der Pflanzen) nachweislich das Immunsystem stimulieren. So wird die Vermehrung der Killerzellen von den Terpenoiden unterschiedlicher Nadelbäume im Wald stark angeregt, wie eine Studie gezeigt hat. Es kann also in vielerlei Hinsicht eine gute Idee sein, regelmäßig mit seinem Pferd “Waldbaden” zu gehen.
Dass das Meeresklima einen heilenden Effekt auf Lungenerkrankungen haben kann, hat sich mittlerweile hinreichend herumgesprochen. Die hohe Sonneneinstrahlung am Wasser fördert zudem die Bildung von Vitamin D, welches uns dann eingespeichert im Fettgewebe über den Winter zur Verfügung stehen kann. Grundsätzlich löst Meeresrauschen eine beruhigende Wirkung auf uns aus. Geist und Seele können regenerieren, unsere Aufmerksamkeit und Kreativität steigt - was uns wiederum gut für die Erfüllung unseres Jobs - oder die Ausbildung unseres Pferdes - ausrüstet. Auch Pferde lassen am Meer sehr gern ihren Blick in die Ferne schweifen und genießen die Weite. Beide Landschaften, sowohl der schattige Wald als auch der immer leicht windige, Frische heranwehende Strand, lassen sich übrigens auch gut zusammen mit Pferd bei sommerlichen Extrem-Temperaturen aufsuchen — praxiserprobt!
Interessant ist das unterschwellige propriozeptive Training, das wir uns und unseren Pferden während eines Spazierganges in der Natur zu Gute lassen kommen können. Viele unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten (z.B. steinige Schotterwege, eine Grasnarbe, federnder Waldboden, tiefer Sand, Kieselsteine, die Brandungszone, Hügellandschaft, Feldwege, Salzwasser) fördern die Wahrnehmung der Tiefensensibilität und unsere Stellung im Raum, sodass Gleichgewicht und Trittsicherheit verbessert werden.
Ich komme zu meiner eingangs gestellten Frage, ob der Aufenthalt mit unseren Pferden draußen in der Natur auch Nachteile hat. Viele mögen sagen: Es kostet Zeit. Ja, es dauert in der Regel länger: Eine große Spazier-Runde, wohlmöglich unterbrochen durch kleine Fresspausen, spontane Trainingseinheiten an einem Hügel oder einem Schwatz mit entgegenkommenden Gleichgesinnten dauert länger, als wenn ich mit meinem Pferd in die direkt vom Stall aus erreichbare Reithalle oder auf den hofeigenen, glattgezogenen Reitplatz husche und mein (Reit)Programm durchziehe (das mit Sicherheit auch seine Berechtigung hat, wenn es abwechslungsreich integriert wird!).
Doch diese Quality-Bewegungs-Zeit mit meinem Pferd in der Natur ist so gut investiert und lässt sich in ganz vielen Fällen z.B. guten Gewissens von den alltäglichen Stunden, die man auf social media unterwegs ist, abziehen.
Ich für meinen Teil bin jedenfalls sehr froh, hier auf der Insel so viele abwechslungsreiche Naturlandschaften zusammen mit meinen Pferden erleben und bewandern zu dürfen.