Der Trail für chronisch kranke Pferde
Große Säugetiere wie das Pferd haben starke Knochen und sind unglaublich gut bemuskelt — ihr Alltag ist auf ständige Bewegung ausgelegt.
Bereits seit mehreren Jahren hat der sogenannte (Paddock-)Trail (Trail = Englisch: Pfad, Weg) in der artgerechten modernen Pferdehaltung immer mehr an Bedeutung gewonnen. Der Trail ist eine Art Rundlauf, der (je nach Untergrund und Jahreszeit befestigt oder unbefestigt) beispielsweise um eine Weide oder ein anderes Areal herumführt und die Pferde dadurch zu mehr Bewegung verleitet bzw. anregt. Es gibt normalerweise kein Ende dieses 4-5 Meter breiten Weges, der mit unterschiedlichen Stationen für die Pferde interessant gemacht wird. Mehrere Heu- und/oder Strohstationen, Mineral- und Salzleckstein-Stationen, Knabberholz-Ecken und natürlich eine Wasser- bzw. Tränke-Station sorgen dafür, dass die Pferde den ganzen Tag in einer entspannten, mal auch schnelleren Gangart unterwegs sind.
Dazu kommt z.B. ein Scheuerbalken mit unterschiedlich gewinkelten Kratzbürsten, ein Ruhe-, ein Liege- und ein Wälzplatz. Der Phantasie und dem Einfallsreichtum sind dabei nur wenige Grenzen gesetzt. Idealerweise liegen bestimmte Stationen, die stark voneinander abhängig sind (z.B. Heu und Wasser oder Heu und Ruheplatz) möglichst weit auseinander, sodass die Pferde häufig eine lange Strecke zwischen diesen beiden Stationen zurücklegen müssen. Auch der Untergrund kann variieren, um die Trittsicherheit (koordinativen Fähigkeiten) zu trainieren, den natürlichen Hufabrieb zu fördern und für Abwechslung und Aufmerksamkeit im Pferde-Alltag zu sorgen. Hier kommen neben gepflasterten Strecken auch Flächen aus Naturboden, Hackschnitzel, groben Kies, Kunstrasen, Paddockplatten, Kieseln und/oder Sand zum Einsatz. Auch dickere Baumstämme können den Trail bereichern. Pferde in diesem Haltungssystem gelten meist als sehr ausgeglichen und entspannt, da sie ihren angeborenen Bedürfnissen nach frischer Luft, viel Bewegung, natürlichem Futterangebot und nach dem Leben im sozialen Herdenverband 24 Stunden am Tag uneingeschränkt nachkommen können (fachkundige Herden-Zusammensetzung vorausgesetzt*). Ein beispielsweise viereckiger Paddock in der gleichen Quadratmetergröße kann nie den Bewegungsanreiz-Effekt haben, den ein Trail erzielt. Hier verbringen die Pferde oftmals den ganzen Tag mehr oder weniger an einer Stelle (z.B. an der Heuraufe), sie stehen sich regelrecht “die Beine in den Bauch”.
* Wie bei allen Offenstall- und Herdenhaltungen ist es auch bei der “Trailbesetzung” immens wichtig, dass die Herdenzusammensetzung fachmännisch und unter ständiger Beobachtung der Rangfolge und der körperlichen Entwicklung aller Tiere erfolgt. Da sich die Pferde auf einem Trail besonders gut aus dem Weg gehen können, da es kaum Engstellen oder Sackgassen gibt, eignet sich dieser gut für rangniedrige Pferde. Es muss trotzdem sichergestellt werden, dass Pferde in niedrigen Rängen ihre Bedürfnisse nach Gesellschaft (Sozialkontakt), Futter, Trinken und ausreichend Schlaf gleichermaßen befriedigen können. Andernfalls geraten diese Pferde häufig in eine Dauerstress-Situation, die wiederum die chronische Grunderkrankung verschlimmern kann.
Doch nicht nur für gesunde Pferde kann der Paddock-Trail die artgerechteste Haltungsform sein. Vor allem chronisch kranke Vierbeiner profitieren noch mehr von der Möglichkeit, sich den ganzen Tag langsam und entspannt — oder auch mal schnell — vorwärts bewegen zu können. Warum das so ist, ist im folgenden Abschnitt beschrieben.
Der Atemwegsproblematiker
An diesen denken wir auf dieser Webseite natürlich als erstes: Die Lungenschleimhaut des chronisch lungenkranken Pferdes produziert, je nach Ist- und Therapie-Zustand, kontinuierlich verstärkt Schleim. Ohne ausreichende Bewegung setzt sich dieser Schleim nach und nach immer hartnäckiger in den unteren Atemwegen fest und sorgt für ein Verkleben der Lungenalveolen und damit für ein stetiges Fortschreiten der Lungenschädigung. Neben einigen anderen Faktoren ist die Bewegung des Pferdes ein wichtiger Baustein im Management dieser Erkrankung. Denn die Schleimmobilisation in einem so großen Säugetier wie dem Pferd kann neben physikalisch und chemisch unterstützenden Prozessen (z.B. Inhalation, Medikamente) vor allem auch mechanisch begünstigt werden. Zwar ist bekannt, dass vor allem längere Galoppaden nicht nur durch die Beanspruchung und bessere Durchblutung der Lunge, sondern auch durch den Bewegungsablauf an sich die Schleimlösung begünstigen - aber auch das regelmäßige Abschreiten des Trails im zügigen Schritt führt dazu, dass die Atemwege freier gehalten werden als bei einem Pferd, dass einen Großteil seiner täglichen Zeit in der Box oder auf dem quadratischen Paddock herumsteht, wohlmöglich 24 Stunden die Nase im Heu und - übertrieben ausgedrückt - mit Schleim “zuläuft”. Häufig hört man auf dem Trail spazierende Pferde zufrieden abschnauben.
Der Stoffwechsler
Übergewicht und seine gesundheitlichen Folgen spielen nicht nur bei den Menschen eine immer größere Rolle. Viele Pferde und Ponys nehmen täglich deutlich mehr Energie auf, als sie verbrauchen, da Pferdebesitzer häufig den Erhaltungsbedarf des eigenen Pferdes nicht kennen oder überschätzen. Zu hohe Kraftfuttergaben, falsches oder unnötiges Kraftfutter, zu viel zuckerreiches Heu oder Heulage, viel Weidegang und zu wenig Bewegung lassen die Speckpolster an Mähnenkamm, Schulter und Kruppe anwachsen und zunehmend hart werden. Diese typischen Fettdepots produzieren hormonähnliche Substanzen, die insbesondere den Zucker- und Insulinstoffwechsel des Tieres nachhaltig durcheinander bringen können. Es entsteht dann eine ähnlich gefährliche Stoffwechselsituation wie beim menschlichen Diabetes: ein Teufelskreis, bei dem der aufgenommene Zucker nicht mehr durch das Insulin in die Zellen eingeschleust werden kann und im Blut verweilen muss. Beim Pferd wird dieses Krankheitsbild EMS, das equine metabolische Syndrom, genannt.
Ein naher Verwandter des EMS ist das ECS, das equine Cushing Syndrom, ebenfalls eine Stoffwechselerkrankung, deren Aushängeschild die stark erhöhten “Stress-Werte” im Blut sind (z.B. ACTH, adrenocorticotropes Hormon). Es sind meist ältere Pferde und Ponies betroffen und die Ursache wird eher im weniger beeinflussbaren Inneren des Organismus vermutet. Angenommen wird, dass die erhöhte ACTH-Ausschüttung im Blut mit gutartigen Entartungen (Adenomen) der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) oder der Nebennieren (hier findet die körpereigene Kortisol-Produktion statt) im Zusammenhang steht. Aber auch chronische Schmerzen oder Dauerstress lassen den ACTH-Wert ansteigen. Neben einem durch den ständig erhöhten Blut-Kortisolspiegel unterdrückten Immunsystem (zeigt sich z.B. durch häufige Infekte oder massivere Zahnprobleme) gelten der Hirtuismus (gekräuselte Fellveränderungen) mit einem verzögertem Fellwechsel sowie die Hufrehe als äußere Kardinalsymptome. Häufig zeigen ECS-Pferde auch Symptome von EMS, z.B. die oben bereits erwähnte Insulinresistenz.
So kompliziert sich diese endokrinologischen Erkrankungen ursächlich darstellen, so gut sprechen aber auch sie auf eine bewegungsfokussierte Haltungsform an.
Begegnen kann man diesen Syndromen (neben einer radikalen und konsequenten Ernährungsumstellung) durch viel Bewegung an der frischen Luft - und zwar bei Wind und Wetter. Während ein EMS-Pferd sich viel bewegen sollte, um Kalorien zu verbrauchen, die hormonaktiven Fettdepots ab- und Kondition aufzubauen, profitiert ein Cushing-Pferd durch die regelmäßigen Bewegung vor allem vom Stress-Abbau. (Freiwillige und selbstgewählte) Bewegung reduziert Stress, in dem sie die Produktion von Endorphinen und Serotonin anregt - beides wiederum Hormone, die Stresshormone (z.B. Cortisol) neutralisieren können. Gemeint ist mit dieser Bewegung übrigens nicht, wenn ein rangniedriges Pferd ununterbrochen vom Herdenchef durch einen Trail gejagt wird - darauf zu achten, ist selbstredend.
Nicht nur, aber insbesondere bei der chronischen Form der Hufrehe ist die regelmäßige, kontinuierliche Bewegung unabdingbar, um eine optimale Blut-, Nährstoff- und Sauerstoff-Versorgung der Hufe zu gewährleisten. Ein Pferd (wie bereits mehrfach erwähnt, ein großes, muskuläres Säugetier) benötigt neben der physiologischen Herztätigkeit zusätzlich die sogenannte “Hufpumpe” in allen vier Beinen. Diese transportiert durch das regelmäßige, stetige Be- und Entlasten des Hufes während des Schreitens das Blut aus den Extremitäten zurück in den Rumpf, um den Blutkreislauf des Pferdes optimal in Gang zu halten.
Der Arthrosler — oder: Wer rastet, rostet!
Das alte Sprichwort trifft nicht nur auf Menschen mit Gelenksarthrosen, sondern auch auf Pferde zu. Da die Tiere durch optimierte Haltungs- und Fütterungsbedingungen immer älter werden, nimmt das Thema Arthrose auch in der Pferdemedizin einen wichtigen Platz ein. Neben dem fortschreitenden Alter kann auch Übergewicht, eine falsche bzw. überlastende Reitweise oder Haltungsform, Fehlernährung, Verletzungen, aber auch eine genetische Disposition zu langfristigen Arthrose-Erkrankungen beim Pferd führen.
Als Arthrose bezeichnet man eine degenerative, chronische Form der Gelenkabnutzung bzw. einen Knorpelverschleiß, der schubweise oder gar ständig mit großen Schmerzen einhergehen kann. Die fortschreitende Arthrose kann grundsätzlich nicht aufgehalten, aber durch unterschiedliche Maßnahmen “in Schach” gehalten werden (diverse Futterzusätze, Physiotherapie, den körperlichen Fähigkeiten angepasste Arbeit mit dem Pferd, tierärztliche Anwendungen am und im Gelenk, Therapie-Bandagen, Wärme, Gewichtskontrolle, Schmerzmittel) - und, wie sollte es anders sein, so spielt der Faktor Bewegung auch hier wieder eine tragende Rolle. Regel- und gleichmäßige Bewegung stärkt die ein krankes Gelenk umliegenden Bänder, Muskeln und das Bindegewebe und hilft damit aktiv, das Gelenk langfristig zu entlasten und durch seine unmittelbare Umgebung zu stützen. Auch um die den Knorpel ernährende Gelenkflüssigkeit (Synovia) regelmäßig zu erneuern, ist Bewegung zwingend erforderlich.
Synovia
Die Synovia erfüllt zwei sehr wichtige Funktionen: Sie schützt und fungiert sowohl als sogenannte “Gelenkschmiere” bzw. in visköseren (*dickflüssigeren) Zuständen auch als Puffer zwischen den beiden Gelenkknorpeln zweier Knochen, um beispielsweise harte Stöße abzufedern. Da Knorpelgewebe nicht an den Blutkreislauf angeschlossenen ist, dient Synovia außerdem als Nährstoff-Transporteur. Gelenk und Knorpel benötigen, insbesondere bei sich entwickelnden Arthrosen, eine hohe Nährstoffzufuhr.
Vor allem nach längeren Ruhephasen benötigt der Organismus eine Weile, um wieder schmerzfrei agieren zu können. Wie auch der Mensch morgens zum Aufstehen mit vermehrten Gelenksschmerzen zu kämpfen hat, so muss auch ein Pferd, dass z.B. über Nacht mehrere Stunden in einer Box steht, sich zunächst erstmal “einlaufen”, bevor durch die Bewegung wieder genügend Synovia in den Gelenken gebildet wurde, um die Reibungen - und damit die Schmerzen - im veränderten Gelenk zu verringern.
Ähnlich wie bei der weiter oben bereits erwähnten “Hufpumpe” zur Blutkreislauf-Stabilisierung, werden durch die regelmäßige Be- und Entlastung der Gelenke deren Knorpelregionen bestmöglich durch Synovia versorgt. Es sollte also vermieden werden, dass ein arthrosekrankes Pferd über mehrere Stunden am Stück (bei Pferden in Boxenhaltung kommen da schnell 12 Stunden und mehr zusammen!) zum Stehen bzw. Ruhen auf einer kleinen Stelle gezwungen wird. Frei gewählte Schlaf- und Ruhephasen dauern bei Pferden (je nach Alter) kaum so lang, als dass es zu einer ernsthaften Unterversorgung der Gelenke kommt.
Da auf einem Trail (je nach Pferdeanzahl auch mehrere) Liege- bzw. Ruhebereiche mit eingeplant werden, kann man dem arthrosekranken Pferd hier ebenfalls die bestmögliche Haltungsform bieten.
Zum Schluss: Für welche Pferde ist der Trail nicht geeignet?
Alle erwähnten Vorzüge der Trail-Haltungsform gelten in erster Linie für sicher diagnostizierte, ggf. medikamentös gut eingestellte und damit so weit wie möglich symptom-/beschwerdefreie chronisch kranke Pferde. Bei akuten Geschehnissen, ob nun verbunden mit der Grunderkrankung (wie asthmatische Anfälle, Reheschübe, akute Gelenkschwellungen (Arthritis)) oder auch bei allgemeinen Symptomen wie Fieber, Koliken, Verletzungen oder starken Lahmheiten sollte das Pferd nicht in der Herde verbleiben, wo es unter Umständen zu Bewegungen und Ausweichmanövern gezwungen wird, die es zu dem Zeitpunkt nicht in der Lage ist zu leisten. Hier wäre ein Herausnehmen aus dem Trail nötig, bestenfalls auf einem kleinen angrenzenden Kranken-Paddock, um zusätzlichen Stress aufgrund der Trennung von der Herde so gering wie möglich zu halten und um eine der Situation angepasste Futter- und Wasseraufnahme zu gewährleisten und überprüfen zu können.
Ebenfalls im Blick behalten sollte man ältere und schwächere bzw. schwerfuttrige Pferde, deren körperliche Entwicklung sich manchmal sehr schnell zum Negativen wenden kann, wenn das Gleichgewicht aus viel Bewegung und ausreichender Futteraufnahme (z.B. im Winter, bei dauerhaft schlechtem Wetter oder bei vermehrten Zahnproblemen) aus den Angeln gerät. Diese Pferde wägen aus Energiespar-Gründen ab, ob sie den extra langen Weg von der Heu- zur Wasserstation tatsächlich laufen sollen oder nicht - und trinken ggf. zu wenig. Dehydrierung und auch Verstopfungen, bis hin zu ernsthaften Koliken, können die Folge sein. Als Lösungen bieten sich hier z.B. Extra-Fütterungen mit aufgeweichten Heucobs und einem eigenen Wasserbottich an, die vor allem tagsüber gut gemanagt werden können, wenn Zeit genug ist, das Pferd zu separieren und nach der Fütterung wieder zu seinen Herdenmitgliedern zu lassen.