Vier Fakten zur Pferde-Lunge.
Die Lunge von Pferden gilt als besonders anfällig für Erkrankungen. Stimmt das so? Hier finden Sie vier wichtige Tatsachen über das Atemorgan.
1. Nichts Neues — aber wichtig zu wissen.
Die Aufgabe der Säugetier-Lunge als Endglied des Atmungsapparates ist es, den sogenannten Gasaustausch (d.h. die Sauerstoffzufuhr und -abgabe an den Körper zur Gewährleistung aller Stoffwechselprozesse auf der einen Seite sowie die Kohlendioxid-Aufnahme, welches als Abfallprodukt dieser Prozesse entsteht und dessen Abtransport auf der anderen Seite) sicherzustellen. Zur Erfüllung dieser Funktion wird eine größtmögliche Oberfläche erfordert, die durch die unzähligen Alveolen (die Lungenbläschen) und das lungenspezifische Gewebe (Lungenparenchym) zur Verfügung gestellt wird. Die respiratorische Kontaktfläche zur Außenwelt beträgt beim Pferd ca. 1.650 m²! Mit 1-1,5 % des Körpergewichts besteht die Lunge bei einem 600 kg Pferd aus ca. 7,3 kg Gewebe.
Gerade beim Pferd, das als ursprüngliches Fluchttier unbedingt auf die sofortige und schnellstmögliche Flucht bei Gefahr angewiesen ist, zählt sie zu den leistungsfähigsten Organen. Nur, wenn die Lunge in Bruchteil von Sekunden reagieren, genügend Sauerstoff zur Verfügung stellen und aus der Ruhe auf Höchstbelastung umstellen kann, ist eine Überlebenschance des Pferdes realistisch. Während das Pferd im Ruhezustand 6 bis 18 Atemzüge pro Minute macht und bei jedem Atemzug ca. 6 l Luft verarbeitet (= 72 l / min), kann dieses Atemvolumen unter Extrembelastungen auf bis zu 1.500 bis 2.000 l Luft pro Minute, also auf das 27-fache, ansteigen! Diese Werte verdeutlichen das bei einem gesunden Pferd vorhandene Arbeitspensum, welches die Lunge — natürlich im Zusammenspiel mit den anderen Komponenten des Herz-Kreislaufs-Systems — zu verrichten vermag. In freier Natur trainieren Pferde immer wieder diese Flucht-Mechanismen.
Denn neben der verbesserten Reaktionsfähigkeit und dem damit verbundenen Entkommen vor dem Räuber hat die regelmäßige Belastung der Lunge zudem den Vorteil, dass die sogenannte “mukoziliäre Clearence” besonders gut und in jedem Teil der Lunge arbeiten kann. Als “Clearence” wird ein bedeutender Abwehr- bzw. Reinigungsmechanismus innerhalb der Lunge bezeichnet. Schleim, Staubpartikel oder andere fremde Stoffe werden durch die Bewegung der sogenannten Flimmerhärchen, die auf der Lungenschleimhaut sitzen (auch Zilien genannt) Richtung Luftröhre und Nase / Schlund befördert. Dieser Selbstreinigungsmechanismus der Bronchien ist somit ein äußerst wichtiger Faktor bei der Regeneration von Atemwegserkrankungen, und wird vor allem durch anstrengende Bewegung über das normale “Schritt-Gehen” hinaus in Gang gehalten.
Es stellt sich nun die Frage: Warum sollte das für das Fluchttier Pferd überlebenswichtige Organsystem besonders anfällig sein?
2. Ergo: Die Pferdelunge ist nicht anfälliger als andere Säugetier-Lungen.
Dass Pferde häufig und anhaltend an Atemwegs-Problematiken leiden, ist kein Geheimnis. Daraus jedoch zu schließen, dass dieses Organsystem dieser Spezies nun eben besonders anfällig für Erkrankungen ist und man deshalb schulterzuckend schleimlösende, bronchienerweiterende und / oder entzündungshemmende Medikamente füttert und spritzt, ist nicht richtig. Gleichwohl das Lungenepithel zwar in ähnlicher Weise wie auch das Magen-Darm-System in direktem Kontakt zur Außenwelt steht und aus diesem Grunde exogenen Einflüssen stärker ausgesetzt ist als andere Organe, ist es bei der in vielen Haltungs-Situationen zu ertragenden Staub- und Keimbelastung überhaupt kein Wunder, dass die Pferde-Lunge reagiert und konsequent und stetig versucht, sich der krankmachenden Substanzen zu entledigen.
Beim Menschen gibt es verschiedene anerkannte und entschädigungspflichtige Berufserkrankungen, bei denen es aufgrund der jahrelangen Feinstaubbelastung des Organismus im Berufsleben (in erster Linie bei Bergleuten, aber auch bei Bäckern oder Arbeitern in der Textilindustrie) zu einer sogenannten Pneumokoniose (umgangssprachlich auch “Staublunge” genannt) kommt.
Pferde, die zwölf oder mehr Stunden pro Tag im Stall bzw. in der Box stehen, sind in sehr ähnlicher Weise dauerhaft lungengängigem organischem Feinstaub aus (noch so gutem) Stroh und Heu ausgesetzt. Keimfreies Heu oder Stroh gibt es nicht, da es sich hierbei um Naturprodukte handelt. Ein gewisser Besatz dieser Futter- und Einstreumittel mit Bakterien, Pilzen und Hefen ist also natürlich und unvermeidbar, bietet aber bei entsprechend schlechten Verhältnissen (Witterung, Erntetechnik, Lagerung) einen optimalen Nährboden für eine enorme Keimerhöhung und damit -belastung. Dies belegen zahlreiche wissenschaftlich aufbereitete Futterhygiene-Untersuchungen der Landwirtschaftskammern aus den letzten Jahren. Dabei handelt es sich z.B. um Bacillus spp., Staphylokokken, Mikrokokken (Bakterien) oder um Schimmelpilze, sowie um deren Stoffwechselprodukte (Endotoxine). Viele Pferde haben keinerlei Möglichkeit (abgesehen von Paddock- oder Fensterboxen), dieser Belastung grundlegend zu entgehen. Auch wenn die Möglichkeit besteht, dass die Tiere zeitweise auf ihren “Balkon” ausweichen, den Kopf zum Fenster raus stecken oder gar den halben Tag im Freien verbringen, fressen und liegen sie dennoch einen hohen Prozentsatz ihrer Gesamt-Tageszeit im gefährlichen Staub, oft vermischt mit gewebeschädigenden und giftigen Reizgasen, wie beispielsweise Ammoniak. Dem Stallpersonal empfiehlt man, beim Umgang mit Heu eine Staubmaske zu tragen.
Pferde, zum Teil ad libitum (also zur freien Verfügung) mit Heu versorgt, haben keinen zusätzlichen Filter vor den Nüstern.
3. Zu spät — und nun? Die Erholungsmöglichkeiten von Lungengewebe.
Die Lunge bzw. das lungenspezifische Gewebe (das sogenannte Parenchym) hat glücklicherweise zunächst die Möglichkeit, sich bis zu einem bestimmten Maße durch nachrückende Zellen zu regenerieren, also so zu erneuern, dass die Funktionen weitestgehend erhalten bleiben oder sich wieder einstellen. Werden die krankheitsauslösenden Einflüsse (Keime, Staub, …) jedoch nicht konsequent beseitigt, ist der Körper gezwungen, einen falschen Weg zu nehmen: Das sogenannte Remodeling setzt ein. Es handelt sich um einen irreversiblen Umbauprozess, der versucht, langzeitgeschädigtes Körpergewebe zu reparieren. Hierbei kommt es häufig zu einem Funktionsverlust dieses Gewebes, da insbesondere die Arbeit der beteiligten Fibroblasten (eine bestimmte Zellart) zu einer dauerhaften Gewebeveränderung bzw. einer regelrechten Gewebevernarbung führt (es wird härteres Bindegewebe anstatt der elastischen Schleimhaut gebildet). Im Hinblick auf die Lungenschleimhaut bedeutet dies, dass diese durch die Bindegewebseinlagerungen zwischen den Alveolen ihre Elastizität einbüßt, letztendlich nahezu versteift und unter Anderem ihrer Hauptaufgabe, dem Gasaustausch, nicht mehr oder nur mit deutlich erhöhter Anstrengung in ausreichender Form nachkommen kann. Dieser Umbau lässt sich leider nicht wieder rückgängig machen. Man nennt diesen Krankheitsverlauf, aus der Humanmedizin übernommen, Lungenfibrose.
Eine echte Regeneration der Lunge kann demnach nur im frühen Stadium einer Lungenerkrankung erfolgen und nur unter der Prämisse, dass jegliche diese Erkrankung auslösenden Faktoren so schnell wie möglich beseitigt werden.
4. Also: der frühe Vogel atmet durch!
Oft ist gar nicht mehr genau erfassbar, wann die Atemwegsproblematiken beim eigenen Pferd begannen und was genau nun der Auslöser gewesen sein könnte. Es gibt jedoch ein paar Regeln, die für jegliche Formen der Lungenerkrankungen gelten.
Ein jedes Pferd gehört an die frische Luft und zwar so lang wie irgend möglich, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Es gibt mittlerweile sehr gute, regendichte, zum Teil gefütterte Pferdedecken, die bei Bedarf empfindliche Hals- und Rückenpartien warm halten — und gerade bei lungenkranken Pferden sollte die Decke bei Wind und Regen auch Anwendung finden. Die Weide- und Offenstallhaltung berücksichtigt diesen Luftbedarf (wir denken an die benötigten 10.000 l (saubere) Luft pro Tag!) am besten. Lungenkranke Pferde gehören grundsätzlich nicht eingesperrt!
Ein weiterer, ebenso wichtiger Punkt stellt die Qualität des angebotenen Heus dar. Pferde brauchen Heu, daran besteht kein Zweifel. Wie schon erwähnt, ist die kontinuierliche Feinstaub- und Keimbelastung durch die Heufütterung jedoch ein Hauptauslöser für Gewebereaktionen. Je abgeschlossener ein Pferd gehalten wird (z.B. in einem Stall in einer Box), desto intensiver muss das Pferd die Schadstoffe einatmen. Von einer Heustaub-Allergie zu sprechen, ist übrigens grundweg falsch: Eine allergische Reaktion richtet sich per definitionem gegen einen als harmlos einzustufenden Stoff — Feinstaub und krankmachende Keime sowie deren Stoffwechselprodukte sind keinesweg harmlos, die Abwehr-Reaktion der Pferdelunge ist absolut gerechtfertigt.
Wer auf eine exzellente Heuqualität achtet und das Pferd im Freien füttert, reduziert die Belastung des Atmungsapparates um ein Vielfaches.
Das Pferd muss sich bewegen — oder bewegt werden. Je nach Haltung, körperlicher Verfassung, Temperament und weiteren Grunderkrankungen optimiert die regelmäßige Bewegung im Sinne von geplanter Atem- und Pulsfrequenzerhöhung (= Training) die Belüftung aller Bereiche der Atmungsorgane (Stichwort “Clearence, siehe oben!). Bestimmte Lungenareale werden (auch bei gesunden Pferden) tatsächlich erst durch anstrengende Galopparbeit richtig geöffnet und optimal mit Sauerstoff versorgt. Hier können also weitere Ressourcen freigegeben werden. Diese Trainingseinheit sollte so oft wie möglich in den Alltag einbezogen werden (vorzugsweise durch Galoppaden in der freien Natur).
Last but not least benötigt ein lungenkrankes Pferd eine fortwährende Stabilisierung seines Immunsystems - denn dieses muss auf Hochtouren arbeiten, um Regeneration, Umbauprozesse, Keimabwehr und Genesung zu erreichen. Im Vordergrund steht das körperliche und seelische Wohlbefinden des Tieres, welches grundsätzlich nur durch eine artgerechte Haltung erreicht wird: Ein stressfreies, harmonisches Umfeld, passende Pferde-Gesellschaft, Rückzugsmöglichkeiten, viel Auslauf, Licht und “Wetter”, artgerechte, hygienisch absolut einwandfreie Fütterung auf Basis einer naturnahen Zusammensetzung sowie die Zuwendung und Zuneigung der menschlichen Bezugsperson stellen hier die wichtigsten Eckpfeiler dar.
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